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Auf der Schulter des Giganten
INDUSTRIEKULTUR / Eine Nachtlichtführung durch den Nordpark, wo auch die Dunkelheit ihre schönen Seiten hat.
Hier an diesem Ort hat jede Farbe ihre ganz besondere Bedeutung. Rot - das steht für die Arbeit, die im einstigen Meidericher Hüttenwerk im Übermaß geleistet wurde. Blau - das steht für das Wasser, die großen Ströme und die kleinen Flüsse, die das Land durchziehen, aber auch ganz pragmatisch für das Wasser, das hier früher zur Kühlung der Hochöfen diente. Grün - das steht für die Natur, die sich im Landschaftspark Duisburg-Nord Schritt für Schritt das zurückgeholt hat, was ihr ohnehin stets gehörte.
Doch erst einmal ist alles schwarz. Die Nacht führt das Regiment. Über allen Gipfeln ist Dunkelheit, als sich die kleine Gruppe am Besucherzentrum des Nordparks auf den Weg macht, das Licht in der Düsternis zu entdecken.
"Nacht-Licht-Führung". Unter diesem Titel sind sie hierhin gelockt worden, an den Ort, wo noch vor 20 Jahren der Schweiß der Arbeiter in Strömen floss. Bei Tag und bei Nacht. Hoch lebe Eisen, hoch lebe Stahl, das war das Motto in der damaligen Stadt Montan. Ist lange her. Ewig lange, mag man meinen. Die stählernen Riesen, die sich in der Finsternis erheben, scheinen einer fremden Epoche zu entstammen. Aber es war erst 1985, als die Gegenwart auf einmal zur Vergangenheit wurde und das Hüttenwerk sich zu einer gigantischen Industriebrache wandelte.
Wenn aus Rot Schwarz wird
In rotem Licht hatte damals der Himmel noch über Duisburg geschienen. Rot glühend strahlte es von jenem Ort aus in die Umgebung. Die Stadt hat erlebt, wie schnell aus Rot dann Schwarz werden kann. Aber es geht auch umgekehrt. Mit fortschreitender Zeit entzünden sich offenbar abertausende von kleinen Lampen, die mittlerweile die Mahnmale des industriellen Niedergangs schmücken. In sattem Grün taucht der Gasometer auf. Wo früher das Gas als Restprodukt der Eisenerzeugung angesammelt wurde, tummeln sich inzwischen Taucher, wie Führer Stephan Haas seine Besuchergruppe wissen lässt. Natürlich nicht jetzt am späten Samstagabend. Zu dieser Zeit liegt die massige Konstruktion verlassen da.
Hätten wir jetzt Juli und nicht November, Grün wäre dann ohnehin die dominierende Farbe. Die Natur ist überall. Auch überall dort, wo die Industrie sich einst Platz geschaffen hatte. Schier unüberschaubar soll die Vegetation im Nordpark sein. An das Blau des Wassers wird man auch erinnert. Spätestens beim ersten Tritt in eine durch die Dunkelheit verborgene Pfütze.
Das Gefühl, klein zu sein, hier im Schatten der Industriegiganten, es stellt sich fast unweigerlich ein. Doch der Mensch muss auch einmal herabschauen können. Das gehört zu seiner ganz eigenen Natur. Und deshalb geht es bei der Führung durch die Nacht dann auch irgendwann aufwärts. Hoch auf eine Plattform, von der aus der Blick über jenen Fußweg schweift, den man gerade zurückgelegt hat. Und jetzt endlich auch über das Spiel der Farben in seiner ganzen Pracht.
Der linke Turm bekommt einen ganz roten Kopf - wieder als Symbol für die Arbeit. Rechts strahlt's blau, wie das Wasser. Doch im Mittelpunkt bleibt die Natur. Ganz in Grün, wie es sich gehört. Fast so wie ein Krokodil. Genau diesen Spitznamen hat die brückenähnliche Metallkonstruktion mal bekommen, als sie noch dazu diente, das Erz zu verteilen. Ja, der Anblick lädt zum Verweilen ein. Denkt sich vermutlich auch so mancher Autofahrer, der jetzt nebenan auf der A 42 vorbeidüst. Er kann es aber nicht, sondern genießt das Farbenspektrum als Sekundenglück.
Nur eines von vielen Lichtern
Ist der Nordpark nun ein Licht in vollends dunkler Nacht? Keineswegs. Die Besucher steigen abwärts, nur um gleich wieder den Weg himmelwärts anzutreten. 209 Stufen geht es auf die Besucherplattform des alten Hochofens. Dort, wo einst im Herzen des Giganten Temperaturen im vierstelligen Bereich herrschten. Das Herz ist heute bitterkalt. Genauso ist es oben in 53 Metern Höhe, wo die Nachtwanderer auf der Schulter des Giganten stehen. Und wo sich das Ruhrgebiet und der Niederrhein an deren Scheitelpunkt zu ihren Füßen erstrecken. Wie eine Perlenkette strahlen die Lichter der Städte in der Nacht. Dort ist Essen, da drüben Krefeld. Und Duisburg, versteht sich. Strahlend hell in allen Farben.
Die gute Nachricht des Abends hat sich Führer Stephan Haas für den Schluss aufgehoben. Als der Mann aus Mülheim nämlich in die Ferne deutet und sagt, dort vorne müsse Düsseldorf sein. Doch niemand sieht die Landeshauptstadt. "Dann muss es wohl untergegangen sein." Und so gewinnt zum Abschluss dann auch noch einmal die Dunkelheit ein gewisses Maß an Faszination hinzu.
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